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Leseprobe Kapitel 1

Vorwort

»Nervt es eigentlich, wenn man Sie ständig als Erstes fragt, wie es Ihnen geht?«, wurde ich einmal von einem Journalisten gefragt. »Nein, eigentlich nicht«, antwortete ich, »denn ich weiß ja, dass es gut gemeint ist. Aber irgendwie werde ich mit dieser Frage immer auf die Viren reduziert – dabei gibt es an mir weitaus mehr und interessantere Facetten.«

Besser lässt sich die Diskrepanz im Umgang mit der HIV-Infektion nicht beschreiben. Die meisten positiven Menschen, die ich kenne, haben gelernt, mit ihrer Situation umzugehen, haben die Infektion akzeptiert und schauen nach vorne. Menschen, die bislang mit HIV (noch) nicht in Kontakt gekommen sind, können sich genau das nicht vorstellen. Für sie gilt viel zu oft immer noch die Gleichung »HIV = AIDS = TOD«, die aber schon seit Einführung der Kombinationstherapie Mitte der 90er Jahre ausgedient hat.

Als ich 2009 den nunmehr ersten Band von Endlich mal was Positives über meinen Umgang mit der Immunschwächekrankheit vorstellte, richtete ich auch eine Website mit Informationen rund um meine Person, das Buch und die Infektion ein. Ich war gespannt darauf, auf welchen Wegen die Besucher, speziell diejenigen, die durch ihre Fragen und Ängste zum Thema HIV oder Aids zu »www.endlich-mal-was-positives.de« finden würden. Die mit Abstand häufigste Frage befasste sich mit der Lebenserwartung: »Wie lange lebt man mit HIV?«, gefolgt von »Wie lange lebt man ohne Medikamente mit HIV?« Dies sind offensichtlich die größten Sorgen in Zusammenhang mit der Infektion. Hat man sich aber erst einmal ernsthaft mit HIV befasst, wendet sich der Blick. In den Pressereaktionen auf mein Buch und die Lesungen daraus sowie in den Gastkommentaren auf der Website gibt es viele Belege für Aha-Erlebnisse, die ich in Zusammenhang mit HIV vermitteln konnte.

Offensichtlich sind Aha-Erlebnisse aber nicht genug. Die Angst, HIV sei nach wie vor tödlich, spukt immer noch in viel zu vielen Köpfen. In einschlägigen Internetforen steht zu lesen: »Wenn der Test positiv ist, kann ich nicht weiterleben«, »Ein positives Testergebnis würde meine Zukunftspläne zerstören« oder »Wenn ich HIV habe, ist mein Leben kaputt«. Wie kommt es, dass so viele Menschen Angst vor HIV haben, sich aber der Aufklärung verweigern? Die beinahe schon klassisch zu nennende Antwort gibt eine verzweifelte Mutter, die im Februar 2014 in einem HIV-Forum von der Infektion ihres Sohnes schrieb: »Ich habe immer gedacht, dass so etwas in meiner Familie nicht vorkommt«.

Im Juli 2012 wurde eine Umfrage veröffentlicht, in der das Meinungsforschungsinstitut YouGov im Auftrag der Deutschen Presseagentur (dpa) herausfinden wollte, wie es um die HIV- und Aids-Aufklärung der Bevölkerung in Deutschland bestellt sei. Anlass war das 25-jährige Bestehen der Gib AIDS keine Chance-Kampagne der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA). Das Ergebnis ist alarmierend: 45 Prozent der Befragten gaben an, sich nicht ausreichend über die Immunschwächekrankheit informiert zu fühlen. Als Grund für den Wissensmangel wurden vorrangig die zusammengestrichenen Budgets genannt.

Daran alleine kann es aber nicht liegen. Trotz stetig gekürzter Geldmittel werden Aidshilfen, Aktivisten und auch viele Betroffene nicht müde, Aufklärung zu leisten. Es fehlt also nicht am Willen, etwas zu tun – es fehlt offensichtlich nach wie vor am Bewusstsein der Bevölkerung, dass sich HIV eben nicht auf Rand- oder Risikogruppen beschränkt, und dass es in den letzten 20 Jahren erhebliche Fortschritte in der Behandlung gegeben hat. Aber das ist draußen wohl noch nicht angekommen. Ein Grund mehr, den aktuellen Stand der Infektion zu beleuchten und sich dem Umgang mit der Infektion und seinen Besonderheiten zu widmen.

HIV ist eine Krankheit, die jeden treffen kann; das Virus ist nicht wählerisch. HIV ist aber auch eine Krankheit, vor der man sich in den weitaus meisten Fällen selbst schützen kann. Voraussetzung dazu sind Wissen und die Bereitschaft, lieb gewonnene Vorurteile aufzugeben. Beides soll dieses Buch durch die Beleuchtung verschiedener Themenbereiche rund um HIV ermöglichen und zu der Erkenntnis führen, dass es immer mehr Positives zu berichten gibt, insbesondere aber: Was HIV ist – und was es vor allem nicht mehr ist.

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MATTHIAS GERSCHWITZ

Botschafter Welt-AIDS-Tag

Endlich mal was Positives - Cover
Rote Schleife

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